Göttliche Philosophie


Altvater
Joseph der Hesychast
 
 Göttliche Philosophie

(Brief 48) [1]

Hör auf meine Stimme, mein guter Sohn. Nichts ist schöner, nichts ist süßer als den Herrn Jesus zu lieben. Nichts ist höher, als zu philosophieren über die himmlischen Dinge und aus den irdischen Dingen wie in einem Spiegel die ewigen Güter zu erschauen.

Wahrlich, die Jungfräulichkeit ist das Höhere. Sie macht den Menschen zum Engel auf Erden. Groß ist ihr Ruhm in den Himmeln und groß ihr Freimut vor Gott. Im Himmelreich werden die Jungfräulichen dem Lamm folgen, Das geschlachtet wurde, Jesus. Sie werden Seine göttliche Schönheit schauen und sich des Reichtums Seiner süßesten Liebe erfreuen.

Selig ist, wer erleucht wurde und sich als Braut die schöne Jungfräulichkeit erwählte. Mit ihrer Schönheit wird sie ihn glücklich machen. Selig ist, wer die nichtigen Sorgen der Ehe mied und Christus folgte, indem er von Jugend an Sein Joch auf sich nahm. Er wird zwar Betrübnisse erleiden, doch diese werden den unverwelklichen Kranz der heiligsten Jungfräulichkeit noch schöner machen.

Komm, mein Kind, und beschäftige dich mit der göttlichen Philosophie. So wird in dir eine neue Welt geschaffen werden, ein  neuer Geist, ein anderer Himmel, die du nicht kennst, denn diejenigen, mit denen du bis jetzt Umgang hattest, haben keine Ahnung von diesen Dingen.

Mönch ist nicht jener, dem du begegnest und von dem du Worte ohne Frucht vernimmst. Der wahre Mönch ist Erzeugnis des Heiligen Geistes. Und wenn er in Gehorsam und Hesychia seine Sinne geläutert und den Geist zur Ruhe gebracht und sein Herz gereinigt hat, empfängt er Gnade und die Erleuchtung des Wissens. Er wird ganz Licht, ganz Geist, ganz Klarheit. Und er läßt Theologie hervorströmen in solcher Fülle, dass drei Schnellschreiber nicht genügen, um all das niederzuschreiben, was ihm entflutet und Frieden und völlige Regungslosigkeit der Leidenschaften im ganzen Körper verbreitet. Das Herz entbrennt von Gottesliebe und er ruft: „Halte zurück, mein Jesus, die Fluten der Gnade, denn ich schmelze dahin wie Wachs!“ Und wirklich, er löst sich auf, denn er erträgt sie nicht. Und der Geist wird entrückt in die Gottesschau. Und es folgt die Vereinigung. Der Mensch wird verwandelt und wird eins mit Gott. So sehr, dass er sich selbst nicht mehr erkennt,  nicht mehr unterscheidet, so wie das Eisen im Feuer, wenn es Glut wird und dem Feuer gleich.

All das wirst du kosten, wenn du dich einem erfahrenen, geistig reifen Altvater anschließt und dich mit dem inneren Gebet befaßt. Du hast auch mich, der ich dir oft schreiben und dir Mysterien offenbaren werde, von denen du, wenn du in der Welt bleibst, keinen Tropfen kosten wirst. Laß deine unnützen Kämpfe und aufgeblasenen Worte. Den inneren Menschen sollst du mit Gott vereinen, das ist, was die göttliche Gnade will, und danach wirst du auch anderen von Nutzen sein.

Lies, wenn du willst, die Kirchengeschichte von Meletios von Athen, damit du siehst, wieviele Lehrer -  Origenes und Tausende anderer – zuerst große Leuchten der Kirche waren, ausgestattet mit jeder Gelehrtheit. Doch weil sie sich dem weiten Meer des Wissens übergaben, bevor sie in der Hesychia die Reinheit der Sinne sowie den Frieden und die Ruhe des Geistes erworben hatten, versanken sie im Ozean der Heiligen Schrift. Sie meinten, es genüge, die Schriftgelehrtheit zu besitzen. Und so gingen Tausende zugrunde und wurden  dem Anathema übergeben von den Konzilen, deren Vorkämpfer sie zuvor gewesen waren. Lies und du wirst begreifen.

Ich weiß, dass du dich an mich erinnern wirst, so du überlebst, wenn du jetzt nicht auf mich hörst. Doch dann wird es zu spät sein. Denn dann werde ich nicht mehr in diesem Leben weilen. Und keiner liebt dich mehr als ich, keiner auch wagt dir die Wahrheit mit aller Deutlichkeit zu sagen, selbst wenn er sie sieht. Denn von allen, die du bis jetzt kanntest, hast du nur Schmeicheleien, Politik, Ironie und die Lehren des achten Zeitalters gehört. Alles unecht und gewöhnlich.

Doch als zarter Sproß hast du geistige Weisheit und reine Wahrheit nötig. Deine Seele braucht reines Licht und dein Herz tiefe Einschnitte, damit das Gift der Lüste und der Leidenschaftlichkeit ausfließen kann.

Doch sag nicht vielen weiter, was ich dir schreibe, denn die Menschen dieses Äons befassen sich nicht mit diesen Dingen. Wenn daher jemand zu ihnen spricht über das innere Werk und das Gebet, meinen sie, er spreche über irgendeine Häresie. So sind leider die Menschen unserer bösen Zeit.

In Wirklichkeit aber muß der wahre Mönch Tag und Nacht beschäftigt sein mit der Gottesschau, ob er ißt, ob er schläft, ob er arbeitet, ob er dahinwandert. Denn Gott ist der uns Allernächste, mit Dem wir jederzeit sprechen können. In deinem Blick ist Gott. In deinem Denken ist Gott. In deinem Wort, deinem Atem, deinem Essen. Wo immer du hinsiehst, ist Gott. In Ihm leben wir und bewegen wir uns (Apg 17,28). Er ist es, Der uns trägt in Seinem Schoß.

Deshalb ruf ununterbrochen: „Mein Gott, hast Du Wohlgefallen an diesem? Mein Gott, ist jenes Dein Wille?“ Ohne Unterlaß, Tag und Nacht, sprich mit Gott in aller Einfachheit, wie der Sohn mit seinem Vater. Dann spürst du die Liebe des himmlischen Vaters und Seinen göttlichen Schutz.

Und du liebst, denn du wirst geliebt. Und du fürchtest, weil du in keiner Weise gegen Seinen göttlichen Willen verstoßen möchtest. Und du zitterst, weil du um keinen Preis deinen guten Vater betrüben willst, Der dich so sehr geliebt hat, dass Er, ohne irgendeinen Nutzen für Sich Selbst, allein um deinetwillen am Kreuz gestorben ist.

Die Kirche, die Welt, werden nicht von dir berichtigt werden. Doch du selbst wirst berichtigt, vollkommen gemacht und erleuchtet werden, damit du jene erleuchtest, die es wollen. Die Welt wird nur der Krieg berichtigen, der bereits im Kommen ist oder im Galopp kommen wird. Das Unglück wird viele zur Besinnung bringen. Doch jene, die nicht bereuen, werden ohne Entschuldigung sein.

Erinnere dich daran, mein Sohn, dass du zwar aus Lehm geformt wurdest, aber auch Atem Gottes bist. Mißachte nicht deinen Wert, indem du dich an die Materie bindest. Du bist Atem Gottes. Tu dir Gewalt an, damit du der Gabe Gottes würdig wirst.

Freue dich und frohlocke im Herrn.

Auch ich freue mich, dass ich hier mit unserem Gott in der Hesychia lebe. Ich springe vor Freude und juble in meiner geliebten Hesychia, indem ich meinen kleinen heilsamen und philosophischen Hymnos singe:
 
      Ich fand einen Hafen der Hesychia
      Erstarke meine Seele und der Körper desgleichen
      Schwimme, mein Geist, in der süßesten Stille
      und frag nicht im geringsten, was der Nachbar tut.
         
       „Wer es fassen kann, fasse es“ (Mt 19,12).


Quelle: www.prodromos-verlag.de

[1] Aus dem Buch Γέροντος Ιωσήφ, Έκφρασης Μοναχικής Εμπειρίας, einer Sammlung von Briefen des heiligen Altvaters Joseph des Hesychasten (1898-1959, siehe Das Synaxarion am 15. August und Heilige Altväter der Gegenwart, Chania 2007),  hrsg. vom Hl. Kloster Philothéou, Hl. Berg Athos 1979, 5. Ausgabe 1996 (engl. Monastic Wisdom, The Letters of Elder Joseph the Hesychast, hrsg. St. Anthony’s Greek Orthodox Monastery, Florence Arizona 1998). Dt. Übers. des vorliegenden Textes vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2012.


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