Hl. Gregor Palamas
Homilie zum Hl. Fest der Verkündigung[1]
am 25. März

1. Als der Prophet und Psalmist David die verschiedenen Arten von Geschöpfen aufzählte und Gottes Weisheit in ihnen gewahrte, rief er mitten im Schreiben voller Bewunderung aus: "Wie groß sind Deine Werke, Herr, alle hast Du in Weisheit erschaffen!" (Ps 103,24). Mir aber, der ich nun versuche, über das Erscheinen im Fleische des alles erschaffenden Logos zu reden, soweit es möglich ist, welches Wort wird mir genügen zum würdigen Lobpreis? Denn wenn schon die Geschöpfe voll der Wunder sind und ihr Hervorbringen aus dem Nichtsein ins Sein göttlich und allen Lobpreises würdig ist, wieviel wunderbarer, göttlicher und unseres Lobpreises würdiger noch ist, wenn eines der Geschöpfe Gott wird, nicht einfach ein Gott, sondern der in Wahrheit seiende Gott, und das zudem eine Natur wie die unsere, die nicht imstand oder nicht gewillt war, das Bild zu bewahren, nach dem sie erschaffen worden war, weshalb sie zu Recht in die untersten Bereiche der Erde verbannt wurde!

Das Gleichwerden unserer Natur mit Gott und der uns dadurch geschenkte Wiederaufstieg zum Höheren ist in der Tat etwas so Erhabenes und Göttliches, Unaussprechliches und Unbegreifliches, dass es selbst für die heiligen Engel und Menschen, selbst für die Propheten, die es im Heiligen Geist schauten, in Wirklichkeit unfaßbar blieb – ein von Ewigkeit her verborgenes Mysterium. Und was rede ich nur von der Zeit, bevor es geschah? Selbst nachdem es geschehen ist, bleibt es ein Mysterium, nicht das Geschehnis an sich, sondern die Art, wie es geschah. Ein Mysterium, das geglaubt wird, nicht verstanden, das verehrt wird, nicht erforscht, und zwar geglaubt und verehrt allein kraft des Heiligen Geistes. "Denn keiner vermag zu sagen: Herr Jesus, außer im Heiligen Geist" (1 Kor 12,3), ist es doch der Heilige Geist, kraft Dem wir  verehren und kraft Dem wir beten, wie der Apostel sagt (s. Röm 8,26).

 

Ein Mysterium, unbegreiflich für Menschen wie für Engel

2. Dass dieses Mysterium nicht nur den Menschen, sondern auch den Engeln und den Erzengeln unbegreiflich ist, zeigt uns mit aller Deutlichkeit das Ereignis, das wir heute feiern. Der Erzengel verkündet der Jungfrau die Empfängnis. Auf ihre Frage aber: "Wie soll dies geschehen, da ich doch einen Mann nicht kenne" (Lk 1,34), vermag der Erzengel keine Antwort zu geben, das Wie weiß er nicht, und deshalb nimmt er Zuflucht zu Gott und sagt: "Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten" (Lk 1,35).

Es ist, wie wenn jemand Moses fragen würde, wie der Mensch aus Erde geschaffen wurde, wie aus Staub Knochen, Sehnen und Fleisch entstanden, wie Sinne entstanden aus Empfindungslosem, und wiederum wie aus der Rippe Adams ein weiterer Mensch wurde, wie der Knochen gestreckt, geteilt, vereinigt und zusammengebunden wurde, wie aus Gebein Eingeweide und mancherlei Säfte und alles weitere entstanden. Auf alle diese Fragen antwortet Moses nichts weiter, als dass Gott es war, Der Staub nahm von der Erde und Adam erschuf und dass Er aus der Rippe Adams Eva formte (s. Gen 2,7 und 2,21ff).  Er sagt zwar, Wer es war, Der dies tat, doch wie Er es tat, das sagt er nicht. So auch sagt Gabriel nichts weiter, als dass der Heilige Geist und die Kraft des Allerhöchsten die Empfängnis ohne Samen wirken würden. Doch wie das geschehen sollte, sagte er nicht. Und als der Erzengel die Jungfrau an Elisabeth erinnerte, die empfangen hatte, obwohl sie betagt und unfruchtbar war, vermochte er dazu nichts weiter zu sagen, als dass bei Gott nichts unmöglich ist (s. Lk 1,35-37). Wie also hätte er zu sagen vermocht, auf welche Weise die Empfängnis in Jungfräulichkeit geschehen würde?

3.  Doch in dem, was der Erzengel zur Jungfrau sagte, ist noch etwas mehr, ein Hinweis auf ein noch höheres Mysterium. "Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten" (Lk 1,35). Warum das? Das zu empfangende Kind ist weder ein Prophet  noch ein gewöhnlicher Mensch, sondern "Sohn des Allerhöchsten wird Er genannt werden" (Lk 1,32), Retter und Erlöser des Menschengeschlechts und König in Ewigkeit.

 

Des Menschen Sturz und das Heilswerk der Inkarnation

Wenn Felsbrocken herabstürzen von einem Berggipfel bis hinab in die tiefste Tiefe, passieren sie viele Abgründe. So auch wir Menschen, als wir herausfielen aus dem göttlichen Gebot im Paradies und aus dem seligen Leben dort und hinabstürzten bis in den Hades, durchstanden wir viel Schlimmes. Nicht nur die Erde brachte Disteln und Dornen hervor, gemäß dem Fluch gegen den Urvater, sondern auch wir selbst wurden besät mit den vielfältigen Disteln und Dornen der bösen Leidenschaften, und das in weit größerer Zahl. Und unser Geschlecht litt  nicht nur an dem Schmerz, den die Urmutter zum Erbteil empfangen hatte auf Grund des Fluches gegen sie, wonach sie in Schmerzen gebären würde (s. Gen 3,16), sondern sozusagen unser ganzes Leben wurde Schmerz und Leid.

4. Doch Gott, Der uns erschaffen hat, schaute mit Erbarmen hinab auf uns, beugte die Himmel und kam herab, nahm aus der heiligen Jungfrau unsere Natur auf Sich, erneuerte sie und stellte sie wieder her, mehr noch, Er führte sie in göttliche und himmlische Höhe. Um dies zu vollstrecken, genauer gesagt, um heute diesen Seinen vor aller Zeit gefaßten Beschluß zu verwirklichen, entsendet Er, wie der Evangelist Lukas berichtet, den Erzengel Gabriel "nach Nazareth zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph aus dem Haus und Geschlecht Davids, und der Name der Jungfrau war Mariam" (Lk 1,26-27 und 2,4).

 

Die Empfängnis ohne Samen und der Grund hiefür

5. Zu einer Jungfrau mithin sandte Gott den Erzengel, und indem sie Jungfrau blieb, machte Er sie zu Seiner eigenen Mutter durch ein bloßes Wort des Grußes. Denn wäre Er empfangen worden durch Besamung, wäre Er nicht ein neuer Mensch gewesen, noch auch wäre Er ohne Sünde und Retter der Sünder gewesen. Denn die Bewegung des Fleisches zur Zeugung ist eine Auflehnung gegen den  Geist, den Gott gegeben hat, damit er in uns herrsche, und deshalb ist sie nicht gänzlich frei von Sünde. Aus diesem Grund auch sagt David: "In Unrecht wurde ich gezeugt und in Sünden hat mich meine Mutter empfangen" (Ps 50,7).

Wäre Gott mithin durch Besamung empfangen worden, wäre Er nicht ein neuer Mensch gewesen, noch auch Begründer des neuen Lebens, das niemals altert. Hätte Er nämlich Seine [menschliche] Abstammung von der alten Wurzel genommen, sodass Er Erbe jener Verfehlung geworden wäre, hätte Er die Fülle der makellosen Gottheit nicht in Sich tragen und Sein Fleisch nicht zur unerschöpflichen Quelle der Heiligung  machen können, deren überfließende Kraft die Besudelung der Ureltern wegwäscht und ausreicht, um alle nachfolgenden Generationen zu heiligen.

Deshalb kam weder ein Engel noch ein Mensch, sondern der Herr Selbst kam und rettete uns, indem Er empfangen wurde und Fleisch annahm im Schoß einer Jungfrau und dabei Gott blieb ohne jede Veränderung.

 

Joseph als Zeuge und Helfer 

6. Es war jedoch nötig, dass die Jungfrau auch einen Zeugen hatte für die samenlose Empfängnis und einen Helfer bei all den Geschehnissen, die gemäß der Heilsökonomie folgen sollten. Welches waren diese? Der Aufstieg nach Bethlehem, wo die von den himmlischen Engeln verkündete und verherrlichte Geburt erfolgte (Lk 2,8ff), die Darbringung im Tempel, wo das Kind von Symeon und Anna bezeugt wird als Herr über Leben und Tod (Lk 2,22ff), die Flucht nach Ägypten, um Herodes zu entraten, und die Rückkehr aus Ägypten gemäß den heiligen Prophezeiungen (Mt 2,13ff / Os 11,1) sowie das Übrige, für dessen Darlegung jetzt keine Zeit ist. Deshalb wurde als Verlobter Joseph ausgewählt, und der Engel wurde "zu einer Jungfrau gesandt, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph" (Lk 1,26-27). Das "aus dem Hause und Geschlecht Davids"  (Lk 2,4) aber verstehe als für beide geltend, denn sowohl die Jungfrau als auch Joseph stammten von David ab.

 

Der Name der Jungfrau und was er veranschaulicht

7. Und der Name der Jungfrau", heißt es, "war Mariam" (Lk 1,27), was "Gebieterin" bedeutet. Dieser Name veranschaulicht sowohl den Rang der Jungfrau als auch die Gewißheit ihrer Jungfräulichkeit sowie ihren einzigartigen, in jeder Hinsicht genauen und gleichsam völlig untadeligen Lebenswandel. Ihrem Namen entsprechend war sie wirklich Jungfrau, besaß sie doch die Reinheit in ihrer ganzen Fülle. Sie war Jungfrau sowohl am Körper als auch an der der Seele, bewahrte sie doch die Kräfte ihrer Seele und alle Sinne ihres Körpers gänzlich rein, weit über jeder Befleckung, und dies allezeit ebenso wahrhaftig, gewiß, getreulich und in jeder Hinsicht unverbrüchlich wie das verschlossene Tor die im Innern verwahrten Schätze und das versiegelte Buch das darin Geschriebene unberührt bewahrt von jedwelchem Blick. Deshalb auch steht von ihr geschrieben: "Dies ist das versiegelte Buch" (s. Offb 5,1ff und Dan 12,4) sowie: "Dieses Tor ist verschlossen, und kein Mensch wird  durch dieses gehen" (Ez 44,2).

 

Die unvergleichliche Herrlichkeit der Gottesmutter

8.  Noch in anderer Hinsicht ist die Jungfrau Gebieterin, nämlich in Hinsicht auf ihren Rang, denn als diejenige, die den Gebieter aus über alles Sein in Jungfräulichkeit empfangen und auf göttliche Weise geboren hat, gebietet auch sie über alles.

Und sie ist Gebieterin nicht nur in dem Sinn, dass sie frei ist von Knechtschaft  und Teilhabe-rin an der göttlichen Herrschaft, sondern auch als Quelle und Wurzel der Freiheit des Menschen-geschlechts, insbesondere nach der unaussprechlichen und freudvollen Geburt. Denn die Frau, die mit einem Mann verheiratet ist, ist weit eher beherrscht als Gebieterin, vor allem nach der schmerzvollen und mühsamen Geburt, gemäß jenem gegen Eva ausgesprochenen Fluch: "In Schmerzen wirst du Kinder gebären, und deinem Mann wirst du zugewandt sein, und er wird über dich herrschen" (Gen 3,16). Als Befreierin des Menschengeschlechts von jenem Fluch empfängt die jungfräuliche Mutter an dessen Stelle durch den Engel die Freude und den Segen. Als nämlich der Engel zur Jungfrau trat, sagte er zu ihr:  "Freue dich, du Gnadenreiche, der Herr ist mit dir. Gesegnet bist du unter den Frauen"  (Lk 1,28).

Indem der Engel sagte: "Der Herr ist mit dir", kündete er nicht etwas Künftiges an,  sondern was er unsichtbar in eben jenem Augenblick geschehen sah, das verkündete er. Und da er erkannte, dass die Jungfrau ein Gefäß göttlicher und menschlicher Gnadengaben war, geschmückt mit allen Gaben des Göttlichen Geistes,  proklamierte er sie als wahrhaftig Gnadenreiche, denn er sah, dass sie in sich bereits Denjenigen empfangen hatte, in Dem alle Schätze sind. Und ihre Schwangerschaft ohne Leiden sowie ihre Geburt ohne Schmerzen voraussehend, sagte er zu ihr jenes "Freue dich" und bekräftigte, dass sie als einzige unter den Frauen gesegnet  und zu Recht verherrlicht worden ist, denn eine solche übermäßige Herrlichkeit wie die jungfräuliche Gottesmutter wird keine andere je erlangen, selbst wenn sie zu hohen Ehren gelangt.

 

Die gottgefällige Vorsicht der Jungfrau
gegenüber dem Engel
 

9. Doch die Jungfrau, die den Erzengel sah und befürchtete, es könnte ein trügerischer Bote sein, der Unbesonnene wie Eva  verführt (s. Gen  3,1ff),  nahm den Gruß nicht ohne Prüfung an. Und da sie die Vereinigung mit Gott, die der Engel ihr verkündete, noch nicht deutlich erkannte, erschrak sie, wie geschrieben steht, wegen seines Worts, unverrückbar und entschlossen festhaltend an der Jungfräulichkeit, "und sie überlegte sich, was dieser Gruß wohl zu bedeuten habe" (Lk 1,29). Deshalb löste der Erzengel sogleich die gottgefällige Furcht der gnadenreichen Jungfrau und sagte zu ihr: "Fürchte dich nicht, Mariam, denn du hast Gnade gefunden bei Gott" (Lk 1,30).

Welche Gnade? Jene, die allein Demjenigen möglich ist, Der das Unmögliche möglich macht, und die für dich allein, allreine Jungfrau, aufbewahrt ist von Ewigkeit her. "Denn siehe, du wirst empfangen in deinem Schoß" (Lk 1,31). Wenn du von Empfängnis hörst, sagt er, denk nicht an irgendeine Abwendung von der Jungfräulichkeit, noch auch befremde oder beunruhige dich hierüber. Denn diese Worte: "Siehe, du wirst empfangen", gesprochen zu derjenigen, die jungfräulich ist, deuten an, dass solche Empfängnis einhergeht mit Jungfräulichkeit.

 

Die Visionen der Propheten Isaiah und Daniel

10. Siehe, du wirst empfangen", sagt er, "und einen Sohn gebären" (Lk 1,131). Unter Bewah-rung deiner unverletzten Jungfräulichkeit, heißt das, so wie du sie jetzt hast, wirst du ein Kind empfangen und den Sohn des Allerhöchsten gebären. Dies schaute auch Isaiah lange Zeit vorher und sagte: "Siehe, die Jungfrau hat empfangen in ihrem Schoß und wird einen Sohn gebären" (Is 7,14), und an anderer Stelle: "Ich ging zur Prophetin" (Is 8,3). Wie ging der Prophet zur Prophetin? So wie nun der Erzengel zur Jungfrau ging. Denn was dieser jetzt sah, ist das, was der Prophet damals im voraus schaute und ankündigte. Dass aber die Jungfrau die Gnadengabe der Prophetie besaß, zeigt einem jeden ihr Hymnos an Gott, der im Evangelium steht (s. Lk 1, 46-55).

11.   Isaiah  ging mithin, wie es heißt, zur Prophetin, was zur Gänze im Geist der Prophetie gesagt ist, und sie empfing in ihrem Schoß. Und noch bevor die Wehen kamen, floh sie und gebar ein männliches Kind (s. Is 8,3-4). Und jetzt sagt der Erzengel zu ihr: "Du wirst einen Sohn gebären und Ihn benennen mit dem Namen Jesus - was "Erlöser" bedeutet -, denn Dieser wird groß sein" (Lk 1,31). Wiederum  sagte Isaiah von Ihm: "Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Inhaber der Macht, Fürst des Friedens, Vater des künftigen Äons" (Is 9,6). In Übereinstimmung damit sagt jetzt der Erzengel: "Dieser wird groß sein und Sohn des Allerhöchsten genannt werden" (Lk 1,32).

Warum aber sagte er nicht: "Dieser ist groß und ist Sohn des Allerhöchsten", sondern "Er wird sein und genannt werden"? Weil er hier von der Menschlichkeit Christi sprach. Gleichzeitig machte der Erzengel damit auch deutlich, dass Er allen bekannt sein würde und dass sie Ihn als solchen [d.h. als groß und Sohn des Allerhöchsten] verkünden würden, sodass  Paulus später sagen konnte: "Gott erschien im Fleisch, wurde verkündet unter den Heiden, beglaubigt in der Welt" (1 Tim 3,16).

Weiter sagte der Engel: "Gott der Herr wird Ihm den Thron Davids, Seines Vaters, geben und Er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und Seines Königtums wird kein Ende sein" (Lk 1,32-33). Derjenige aber, dessen Königtum in Ewigkeit währt und kein Ende hat, ist Gott Selbst. Er hat zugleich auch David zum Vater, woran sich zeigt, dass Er auch Mensch ist, denn Derjenige, Der geboren werden sollte, ist zugleich Gott und Mensch, Menschensohn und Sohn Gottes. Als Mensch empfängt Er von Gott dem Vater das unverlierbare Königtum, wie es Daniel im voraus schaute und verkündete: "Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden, und ein Hochbetagter setzte Sich. Und siehe, einer wie ein Menschensohn kam auf den Wolken des Himmels und gelangte bis zum Hochbetagten, und es wurde Ihm die Ehre und die Macht und das Königtum gegeben, und Sein Königtum ist ein ewiges Königtum, und es wird keinem anderen König verliehen werden"  (Dan 7,9, 7,13-14).

12.   Er wird auf dem Thron Davids sitzen und über das Haus Jakob herrschen, denn Jakob ist der Patriarch aller Gottesfürchtigen und David der erste aller Könige, die als Figur Christi [2] gottesfürchtig und gottgefällig herrschten. Christus Selbst aber vereint Patriarchat und Königtum zu einer einzigen himmlischen und ewigen Herrschaft.

 

Die Frage der Jungfrau und die Antwort des Engels

Als die gnadenreiche Jungfrau die außergewöhnlichen und göttlichen Worte vernahm, die der Erzengel zu ihr sprach: "Der Herr ist mit dir" und: "Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären (Lk 1,31ff), den König der Äonen, den Sohn des Allerhöchsten", da fragte sie: "Wie wird mir dies geschehen, da ich doch einen Mann nicht kenne?" (Lk 1,34). Denn obwohl du mir eine Kunde bringst, die geistig ist und weit erhaben über die fleischlichen Leidenschaften, sprichst du doch von Empfängnis im Schoß, von Schwangerschaft und Geburt und stellst der Empfängnis auch noch das "Siehe" voran. "Wie also wird mir dies geschehen, wo ich doch einen Mann nicht kenne?"

13.  Nicht aus Unglauben sagte die Jungfrau dies, sondern sie suchte soweit wie möglich  in Erfahrung zu bringen, wie es sich damit verhielt. Deshalb antwortete ihr der Erzengel: "Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. Deshalb auch wird das Heilige, Das empfangen wird, Sohn Gottes genannt werden" (Lk 1,35). Denn heilig bist du selbst, o Jungfrau, und reich an Gnade. Heilig wiederum ist der Geist, Der über dich kommen und durch Zufügen einer höheren Heiligung das in dir zu vollstreckende Werk Gottes vorbereiten und herbeiführen wird. Und Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten, die dich zugleich stärken und durch die Überschattung in dir und deine Vereinigung mit ihr das Menschliche formen wird, sodass das Gezeugte heilig ist,  Sohn Gottes und Kraft des Allerhöchsten in Menschengestalt.

Denn siehe, auch Elisabeth, deine Verwandte, obwohl ihr Leben lang unfruchtbar, ist jetzt in ihrem Alter dem Willen Gottes gemäß auf paradoxe Art schwanger, denn bei Gott ist nichts unmöglich.

 

Die vollkommene Unterordnung der Jungfrau
unter Gottes Willen

14.  Wie nun antwortet  die gnadenreiche Jungfrau, unübertroffen und göttlich in ihrer Einsicht, auf all dies? Sie eilt hin zu Gott, und indem sie sich erhebt zu Ihm im Gebet,. sagt sie zum Erzengel: "Wenn, wie du sagst, Heiliger Geist über mich kommen wird, um meine Natur noch mehr zu läutern und mich zu befähigen, das Embryo des Heils in mir zu empfangen, wenn Kraft des Allerhöchsten mich überschatten und in mir Denjenigen, Der in Gottgestalt ist, in Menschengestalt formen und eine Schwangerschaft ohne Besamung wirken wird, wenn das Gezeugte heilig ist und Sohn Gottes und Gott und König in Ewigkeit, denn bei Gott ist nichts unmöglich ist, dann "siehe die Magd des Herrn, es geschehe mir gemäß deinem Wort" (Lk 1,38).

 

Einzige Mittlerin zwischen
der geschaffenen und der ungeschaffenen Natur

Da verließ der Engel die Jungfrau, indem er in ihrem Schoß den mit einem Körper vereinten Schöpfer aller Dinge zurückließ, und nachdem er durch diese Vereinigung, welcher er seine Dienste lieh, der Welt zur Rettung verholfen hatte. All dies bildete Isaiah deutlich ab durch das, was er selig zu erleben gewürdigt worden war. Denn als er schaute, wie der Seraph glühende Kohle nahm vom noetischen Opferaltar im Himmel, sah er ihn dieselbe nicht unmittelbar ergreifen, sondern mit Hilfe der Feuerzange ergriff sie der Seraph. Mit Hilfe derselben auch berührte er die Lippen des Propheten, womit er ihm die Reinigung verlieh (s. Is 6,5-7). Diese Erfahrung mit der Feuerzange war dasselbe wie die erhabene Vision, die Moses schaute, nämlich jene vom Dornbusch, der brannte und doch nicht verbrannte (Ex 3,2-6).

15.  Wer hat nicht erkannt, dass die jungfräuliche Gottesmutter jener Dornbusch und jene Feuerzange ist? Empfing sie doch in sich das göttliche Feuer, ohne zu verbrennen, wobei ein Erzengel seine Dienste lieh bei der Empfängnis, durch sie wurde Derjenige, Der hinwegnimmt die Sünden der Welt (Joh 1,29), dem Menschengeschlecht angeeint, und durch diese Vereinigung reinigte Er uns.

Deshalb ist die jungfräuliche Mutter die einzige Mittlerin[3] zwischen der geschaffenen und der ungeschaffenen Natur. Aus diesem Grund erkennen alle, die Gott  kennen, die Jungfrau als Gefäß des Unfaßbaren, [4] und alle, die Gott lobpreisen, lobpreisen nach Ihm auch sie. Sie ist gleicher-weise Vorwurf an jene, die ihr vorausgingen, und Beschützerin jener, die nach ihr kamen, Vermittlerin der ewigen Güter. Sie ist das Thema der Propheten, der Anfang der Apostel, die Stütze der Martyrer, das Fundament der Lehrer. Sie ist der Ruhm der Irdischen, die Wonne der Himmlischen, die Zierde der ganzen Schöpfung. Sie ist die Erstlingsfrucht, die Quelle und Wurzel der Hoffnung, die für uns hinterlegt ist in den Himmeln.

16.   Möchten wir alle diese Hoffnung erlangen, durch die Fürbitten der Gottesmutter für uns, zur Verherrlichung des vor allen Zeiten aus dem Vater geborenen und am Ende der Zeiten aus ihr inkarnierten Jesus Christus, unseres Herrn, Dem alle Verherrlichung, Ehre und Anbetung gebührt, jetzt und immerdar und in die Ewen der Ewen. Amen.

Quelle:http://www.prodromos-verlag.de/

 


[1] Dies ist die 14. der insgesamt 63 erhaltenen Homilien des hl. Gregor Palamas, Erzbischof von Thessaloniki (1296-1359, siehe Das Synaxarion am 14. November sowie seine Biographie in: Hl. Gregor Palamas, Der Weg der Läuterung, Chania 2008). Griech. Urtext, unter dem Titel μιλία ες τον Εαγγελισμόν τς Πανυπεραγνο Δεσποίνης μών  Θεοτόκου κα Αειπαρθνου Μαρίας ("Homilie zur Verkündigung an unsere Allerreinste Gebieterin, die Gottgebärerin und Ewigjungfräuliche Maria") , in EPEGregPal Bd. 9. Deutsche Übersetzung vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011, unter Berücksichtigung der engl. Fassung in St. Gregory Palamas, The Homilies, Mt. Thabor Publishing, Waymart PA 2009.

[2] Als Figur (gr. τύπος) bezeichnen die hl. Väter eine prophetische Vorgestaltung, Vorabbildung oder Vorschattung (nach dem Bild des Schattens, den einer vorauswirft, wenn er das Licht im Rücken hat, sodass zuerst sein Schatten sichtbar wird, bevor er selbst in Erscheinung tritt) verschiedener Aspekte des Heilswerks Christi im Alten Testament, welche mit dem Erscheinen des Erlösers volle Wirklichkeit wurden.

[3] Gr. μεθόριον, wörtlich "Grenzgebiet".

[4] Gr. του Ἀχωρήτου χώρα.


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