Über die heiligen Männer Gottes


Altvater
Joseph der Hesychast

Über die heiligen Männer Gottes

(Brief 11) [1]
 
Wenn die Liebe unseres  Herrn die Seele des Menschen entflammt, unterliegt er nicht länger irgendeinem Maß, sondern bricht aus aus der Begrenzung. Er „treibt die Furcht hinaus“ (1 Joh 4,18), und was immer er schreibt, was immer er sagt, er neigt zum Maßlosen. Doch was er in jenem Augenblick der Gnade, im Angesicht des flammenden Glanzes der göttlichen Liebe zu sagen vermag, ist wenig. In der Folge, wenn die Gnade weicht und die Wolke vorüberzieht, kommt der Geometer und verlangt nach Maß, um zu erklären.

Alles was ich euch geschrieben habe, wurde zu einem einzigen Zweck gesagt: um die Glut eurer Seele anzufachen, um sie anzuspornen zur Sehnsucht nach unserem geliebtesten Jesus und zum Eifer für Ihn. Solches tun auch die Generäle in der Armee. Sie erzählen den Soldaten von den Großtaten der Tapferen und bringen sie so dazu, mannhaft zu kämpfen.

Doch auch die Leben der Heiligen und die Worte, die sie niederschrieben und uns hinterließen, dienen dem gleichen Zweck. Denn Gott hat die Seele so geschaffen, dass sie, wenn sie nicht oft solch hohe und wunderbare Dinge hört, übermannt wird von Schläfrigkeit und Nachlässigkeit. Und nur mit Hilfe solcher Dinge, mit Lesungen und Erzählungen von geistigem Wert, vermag sie die Vergeßlichkeit zu vertreiben und das alte Bauwerk zu erneuern.

Was mich selbst betrifft, als ich auf den Heiligen Berg kam, besuchte ich viele der Väter, die einen hohen Stand erreicht hatten in der Praxis und in der inneren Betrachtung, greise und heilige Menschen.

Da war einmal Geron Kallinikos. Ein Asket erster Ordnung. In Klausur seit vierzig Jahren. Hingegeben an das innere Werk und sich ernährend vom Honig der Gottesliebe. Auch anderen nützlich geworden. Dieser hatte die Entrückung des Geistes gekostet.

Unterhalb von diesem war ein anderer, Geron Gerasimos. Ein vollkommener Hesychast. Aus Chios stammte er. Ein wunderbarer Asket. Hingegeben an das innere Gebet. Neunzig Jahre alt. Er verbrachte 17 Jahre auf dem Gipfel des Propheten Elias. Mit Dämonen ringend und von allen Winden gepeitscht, blieb er eine unerschütterliche Säule der Geduld. Dieser hatte die Gabe der ununterbrochenen Tränen. Er beschloß sein sorgenfreies Leben erfüllt von der Süße der Beschäftigung mit Jesus.

Weiter oben war Geron Ignatios. Blind seit langer Zeit. Beichtvater während vieler Jahre. Ein Greis von 95 Jahren. Er betete innerlich und ununterbrochen. Das Gebet ließ seinem Mund solchen Wohlgeruch entströmen, dass es eine Freude war, nahe seines Mundes  mit ihm zu reden.

Es gab auch einen anderen, der noch wunderbarer war, in der Höhle des heiligen Petros des Athoniten, Papa-Daniel, Nachahmer des heiligen Arsenios des Großen. Äußerst schweigsam, ein Rekluse. Tägliche Zelebration der Göttlichen Liturgie bis an sein Lebensende. Sechzig Jahre lang, ohne einen einzigen Tag, wo er auch nur daran gedacht hätte, die göttliche Hierurgie zu unterlassen. Und während der Großen Fastenzeit, feierte er jeden Tag die Liturgie der Vorgeweihten Gaben. Er entschlief uralt, ohne je krank gewesen zu sein. Seine Liturgie dauerte stets dreieinhalb bis vier Stunden, denn seiner Ergriffenheit wegen vermochte er die Gebete nicht auszusprechen. Der Erdboden vor ihm war stets von seinen Tränen durchtränkt. Deshalb wollte er nicht, dass irgendein Außenstehender anwesend war bei seiner Liturgie und sein Werk sah. Mich ließ er zu, weil ich ihn mit großer Inständigkeit darum gebeten hatte. Und jedesmal, wenn ich hinging – drei Fußstunden durch die Nacht, um jenem wahrhaft überwältigenden göttlichen Geschehen beizuwohnen -, pflegte er mir beim Verlassen des Altarraums ein oder zwei Worte zu sagen, worauf er sich sogleich verbarg bis zum nächsten Tag. Dieser besaß das innere Gebet und das Durchwachen der ganzen Nacht auf Lebenszeit. Von ihm übernahm ich jene Ordnung und fand größten Nutzen. Er aß jeden Tag fünfundzwanzig Dramia (70 g) Brot und war völlig entrückt in seiner Liturgie. Nicht eine einzige Liturgie zelebrierte er, ohne dass der Boden aufgeweicht wurde von seinen Tränen.

Es gab auch viele andere, die hingegeben waren an die innere Betrachtung. Ich hatte nicht die Ehre, ihnen zu begegnen, denn sie waren ein oder zwei Jahre vorher entschlafen. Doch man erzählte mir von ihren Großtaten. Denn das war, womit ich mich befaßte. Schritt um Schritt durchstreifte ich die Bergwildnis mit ihren Höhlen auf der Suche nach solchen Männern. Denn mein Geronta war gütig und einfach, und nachdem ich ihm jeweils sein Essen bereitet hatte, gab er mir den Segen für meine Streifzüge, die nützlich waren für meine Seele. Und nachdem ich ihn schließlich zu Grabe getragen hatte, erkundete ich den ganzen Athos.

In einer Höhle war einer, der siebenmal am Tag wehklagen mußte. Dies war sein Werk. Die ganze Nacht verbrachte er unter Tränen. Seine Kopfstütze war stets naß. Sein Diakonit,[2] der zwei bis dreimal am Tag zu ihm ging – er wollte ihn nicht ständig
bei sich haben, damit er ihn nicht störte in seiner Trauer – fragte ihn:

- Geronta, warum weinst du so sehr?

- Mein Kind, wenn der Mensch Gott schaut, beginnen ihm vor Liebe Tränen von den Augen zu fliessen, und er kann sie nicht zurückhalten.

Es gab noch andere, die von geringerer Statur waren, Papa-Kosmas und die übrigen, sowie große, für die einer, wenn er über sie schreiben will, Papier im Überfluß haben muß.

Diese alle sind jetzt gestorben hienieden und leben dort in Ewigkeit.

Heutzutage hört man kein Wort über solche Dinge, denn soviel Sorgen um Alltägliches und materielles Streben hat die Menschen erfaßt, beinahe totale Gleichgültigkeit gegenüber dem Werk der Nepsis,[3] dass viele von ihnen nicht nur nicht willens sind, diese Dinge zu erforschen, zu erlernen und zu praktizieren, sondern sogar, wenn sie jemanden darüber reden hören, sogleich feindselig gegen ihn aufstehen. Und sie halten ihn für verrückt und blöd, weil seine Lebensweise anders ist und ihnen des Spottes wert scheint.

Es geschieht etwas Ähnliches wie zur Zeit des Götzenkults. Wenn du damals die Götzen beschimpftest, steinigte man dich und übergab dich einem bitteren Tod. Heute  hat jede Leidenschaft den Status eines Götzen, und wenn du die Leidenschaft tadelst und mißbilligst, von der du jeden besiegt siehst, rufen alle: „Steinigt ihn, denn er hat unsere Götter beschimpft!“

Zum Schluß, weil ich niemanden empfange, ohne irgendeine Ausnahme, noch auch hören will, wie die Leute in der Welt leben, was die Mönche tun, bin ich fortwährend  Zielscheibe von Verurteilungen. Doch ich höre nicht auf,  Tag und Nacht zu beten für die Väter und zu sagen, dass sie alles Recht auf ihrer Seite haben. Ich allein bin im Unrecht, weil ich ihnen zum Ärgernis werde. Denn sie sehen mit den Augen, die Gott ihnen gegeben hat. Ist es also nicht unrecht von mir und der Verurteilung würdig, wenn ich sage: „Warum sehen sie nicht so wie ich sehe?“

Möge der Gott aller Sich aller erbarmen, durch die Gebete der Heiligen Gottragenden Väter.
     
 
Quelle: www.prodromos-verlag.de

[1] Aus dem Buch Γέροντος Ιωσήφ, Έκφρασης Μοναχικής Εμπειρίας, einer Sammlung von Briefen des heiligen Altvaters Joseph des Hesychasten (1898-1959, siehe Das Synaxarion am 15. August und Heilige Altväter der Gegenwart, Chania 2007),  hrsg. vom Hl. Kloster Philothéou, Hl. Berg Athos 1979, 5. Ausgabe 1996 (engl. Monastic Wisdom, The Letters of Elder Joseph the Hesychast, hrsg. St. Anthony’s Greek Orthodox Monastery, Florence Arizona 1998). Dt. Übers. des vorliegenden Textes vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2012.
[2] Untergeordneter Mönch, der einem in Klausur lebenden Altvater dient, ihn mit dem Nötigen versorgt usw.
[3] Gr. νήψις, d.h. geistige Nüchternheit,  Wachsamkeit, das feine innere geistige Werk des Wachens über sein Denken und sein Herz, um sie zu bewahren von jeder Unreinheit, von  jedem fremden, gottwidrigen Gedanken und Gefühl. Die heiligen Väter, deren Schriften in der Philokalie gesammelt sind, werden als „neptische Väter“ bezeichnet, weil sie das Werk der Nepsis lehren.


Unsere Besucher lesen auch Folgendes:




Pantokratoras
Powered by active³ CMS - 29.03.2024 15:09:47