Strebt nach dem Licht!


Hl. Symeon der Neue Theologe

"Strebt nach dem Licht!"[1]

Quelle: http://prodromos-verlag.de/texte.html

Der ewige Widerstreit von Licht und Finsternis.

1. Βrüder und Väter, ewiglich setzt sich dem Licht die Finsternis entgegen, dem Glauben der Unglaube, dem Wissen die Unwissenheit, der Liebe der Hass. Als Gott im Anfang sprach: "Es werde Licht" (Gen 1,3), und dies so geschah, da verschwand die Finsternis im Nu. Doch dem Rückzug des Lichts folgte ebenso augenblicklich die Nacht. Geschützt durch die Treue  zu Gott, wohnte Adam in der unsterblichen Herrlichkeit und war im Paradies, doch als er sich vom Widersacher zur Untreue verleiten ließ, wurde er zum Tod verurteilt und aus dem Paradies vertrieben, und anstelle des göttlichen und geistigen Wissens erwarb er das fleischliche Wissen. Denn als die Augen seiner Seele erblindeten und er herausfiel aus dem unvergänglichen Leben, begann er mit den leiblichen Augen zu schauen. Und indem er den Blick jener Augen mit leidenschaftlichem Sinn auf die sichtbaren Dinge richtete, erkannte er Eva, seine Frau, und sie empfing und gebar Kain (s. Gen 4,1). Diese Art von Erkennen ist in Wirklichkeit Nichterkennen alles Guten. Denn wäre Adam nicht zuerst herausgefallen aus der Erkenntnis und dem Schauen Gottes, wäre er nicht abgesunken zu dieser Art von Erkenntnis. Noch auch hätte sein Sohn Kain seinen Bruder Abel umgebracht, wenn er nicht zuerst verbrannt worden wäre von Hass und Neid gegen denselben (s. Gen 4,3-8).

 

Die geistige Finsternis der Leidenschaften und der Unwissenheit

2.Αll jene mithin, die beherrscht sind von jener ursprünglichen Finsternis und nicht hinschauen wollen zum noetischen Licht, aus dem der Urvater gefallen war, betrachten diejenigen, die eingetreten sind in dieses Licht und von den Dingen des Lichts reden, als Gegner und Feinde, sind sie doch getroffen durch ihre Worte. Denn wie ein Sonnenstrahl, der irgendwo eindringt in ein finsteres Haus, die Finsternis durchbohrt und zerschneidet wie ein Pfeil, so wird das von Gott eingegebene Wort eines geistigen und gottgeweihten Mannes im Herzen des fleischlichen Menschen zu einem zweischneidigen Schwert, verursacht ihm Schmerz und reizt es seiner Unwissenheit und seines Unglaubens wegen zur Widerrede und zum Haß.

3.   Wer aber zu wissen glaubt, obwohl er nichts weiß, würde selbst einen Engel, den er aus dem Himmel zu sich herabkommen sieht, als bösen Dämon von sich wegtreiben und sich selbst von einem Apostel, selbst von einem Propheten Gottes abwenden wie von einem zweiten Simon dem Zauberer (s. Apg 8,18ff). Und - o letzte Gefühllosigkeit! - der Blinde hält  den Sehenden für blind, und der eigentliche Schwätzer erachtet die Worte des Wissenden als Geschwätz! Obwohl man ihm immer wieder sagt, dass in der Nacht die Sonne nicht scheint, will er es nicht glauben, und am hohen Mittag wiederum glaubt er nicht, dass die Sonne scheint, sondern ist überzeugt, es sei Nacht, weil er sich als von beiden irregeführt betrachtet. Ob er vom Licht des Tages oder vom Dunkel der Nacht reden hört – in seinem Zweifel weist er alle zurück, die solches sagen.

So ergeht es auch denen, die in der Finsternis der Leidenschaften sitzen (s. Ps 106,10ff), den Geist geschlagen mit der Blindheit der Unwissenheit, genauer gesagt, des Geistes Christi entbehrend (s. 1 Kor 2,16). Sie betrachten denjenigen, der den Geist Christi erworben hat, als geistlos, denjenigen aber, der ihn nicht hat, als geistbegabt, weshalb der Prophet David von ihresgleichen zu Recht sagt: "Der Einsichtslose und der Unverständige gehen zugrunde" (Ps 48,11). Solche verdrehen die gesamte Heilige Schrift gemäß ihren eigenen Begierden und richten sich selbst zugrunde durch ihre Leidenschaften, wobei selbstverständlich nicht die göttliche Schrift die Leidtragende ist, sondern jene, die sie verzerren.

 4.  Sag mir also, du, der du recht urteilst über die Dinge – wie werden die Blinden je imstand sein,  aus eigener Kraft  die Gedanken des Lichts richtig zu lesen, da sie es in ihrer Aufgeblasenheit ablehnen, belehrt zu werden? Wer blind ist an seinen Augen und das Licht nicht sieht, wie könnte der die Buchstaben lesen, die im [sinnlichen] Licht geschrieben sind? Und wer blind ist im Geist und den Geist Christi nicht in sich hat, wie wäre der imstand, die im Licht Christi niederlegten Gedanken zu erfassen? Läse ein solcher auch viele tausendmal mit seinen leiblichen Augen, was sinnlich wahrnehmbar geschrieben steht, wird er doch meines Erachtens niemals in der Lage sein, das Geistige und Immaterielle und Lichtgestaltige zu schauen, hat er doch seinen Standort im Materiellen und Finsteren.

 

Die mit Gott Vereinigten haben Anteil an Seinem Licht

5.  Κeiner also führe euch in die Irre! Gott ist Licht (1 Joh 1,5), und jene, mit denen Er Sich vereint, läßt Er teilhaben an Seinem eigenen Glanz entsprechend dem Grad ihrer Läuterung. Und in jener Stunde weiß die erloschene Lampe der Seele, das heißt der Verstand, dass ein göttliches Feuer dieselbe ergriffen hat und entflammt. O Wunder! Ein Mensch wird vereint mit Gott, im Geist und ebenso im Leib, ist doch weder die Seele getrennt vom Geist, noch der Leib von der Seele, sondern durch die konkrete [2] Vereinigung mit Ihm wird auch der Mensch dreihypostatisch der Gnade nach, ein einziger Gott dem Stande nach,[3]  aus Leib und Seele und dem Göttlichen Geist, Dessen er teilhaftig geworden ist. 

 Und da erfüllt sich, was durch den Propheten David ausgesprochen wurde: "Ich sagte: Götter seid ihr und Söhne des Allerhöchsten alle" (Ps 81,6), das heißt Söhne des Allerhöchsten nach dem Bild des Allerhöchsten und Ihm zum Ebenbild (s. Gen 1,26), göttliche Sprosse, geboren aus dem Göttlichen Geist (s. Joh 3,8), zu denen der Herr mit Recht sagte und immerdar sagt: "Bleibt in Mir, damit ihr reiche Frucht tragt" –  wobei Er mit "reiche Frucht" die Vielzahl der durch sie Geretteten meint –, wogegen "die Rebe, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, verdorrt und ins Feuer geworfen wird". Deshalb "bleibt in Mir, und Ich bleibe in euch" (Joh 15,1ff).

Wie nun Er in uns bleibt und wie wiederum wir in Ihm bleiben, hat uns der Herr Selbst gelehrt, indem Er sagte: "Du, Vater, in Mir und Ich in Dir,  und sie in Mir und Ich in ihnen" (s. Joh 17,21). Und um dies zu bekräftigen, wiederholt Er das Wort nochmals und sagt: "Sie in Mir und Ich in ihnen, so wie Du, Vater, in Mir und Ich in dir" (Joh 17,23). Und damit den Hörenden kein Zweifel bleibe, fügt Er noch hinzu: "So wie Du Mich geliebt hast, habe Ich sie geliebt, und sie erkannten, dass Du es warst, Der Mich gesandt hat"  (s. Joh 17,23-25). Damit ist deutlich gemacht, dass so wie der Vater in Seinem Sohne bleibt und der Sohn im Schoß des Vaters gemäß der Natur (s. Joh 1,18), so auch bleiben die durch den göttlichen Geist Wiedergeborenen und durch Christus-Gott kraft Seiner Gabe zu Brüdern und Gottessöhnen und Göttern dem Stande nach Gewordenen in Gott und Gott in ihnen gemäß der Gnade.

 

Die Anmaßung der geistig Erblindeten

6. Diejenigen aber, die nicht zu solchen geworden sind, die nicht verwandelt wurden durch Praxis, Erkenntnis und Gottesschau,[4] wie  kommt es, dass sie sich nicht schämen, sich Christen zu nennen? Wie wagen sie es, gar noch den Mund aufzutun und schamlos über die verborgenen Mysterien Gottes zu reden, während sie sich in Nachlässigkeit wälzen wie auf einem weichen Lager? Wie erröten sie nicht, sich zu den Christen zu rechnen und sich zu den geistigen Menschen zu zählen? Wie schrecken sie nicht zurück, bei den Priestern Sitz zu nehmen und Hierurgen und Liturgen des Leibes und des Blutes des Gebieters zu werden?

Ratlos bin ich zur Gänze angesichts all dessen, doch die Erblindung des Geistes ist es, wie schon gesagt, sowie die darausfolgende Abstumpfung der Empfindung und Unwissenheit, zusammen mit dem aus diesen geborenen Dünkel, die sie soweit bringen, dass sie den wahrhaft goldenen, den allerkostbarsten Stein, unseren Herrn Jesus, Christus Selbst, wie Lehm mit Füssen treten. O welch schreckliche Verwegenheit! Sie treibt sie, einen jeden von ihnen, sich selbst auf einen hohen Sockel zu stellen und dort zu stehen, um sich als den vielen überlegen zu zeigen und von allen gesehen zu werden. Welcher Christ würde solche Leute Christen nennen?

Zuhanden jener, die sich anheischig machen, alles zu wissen und zu sagen, und sich einbilden, etwas zu sein, wo sie doch nichts sind (s. Gal 6,3), haben wir in dieser Rede gleichsam wie auf einer Stele dargetan, welcher Art und welcher Herkunft die Christen sind, damit jene Leute durch den Vergleich mit dem Archetyp erkennen möchten, wie weit sie entfernt sind von den wahren Christen.

 

Durch die Metanie und das Halten der Gebote zum Licht

Zu euch Dienern Christi jedoch, die ihr zu lernen begehrt und eure Ohren offen haltet, ruft  der Gebieter aller durch Seine Heiligen Evangelien mit lauter Stimme: "Solange ihr das Licht habt, eilt hin zum Licht, damit euch nicht die Finsternis ergreife" (s. Joh 12,35). Eilt hin durch die Metanie, auf dem Weg Seiner Gebote,  eilt, eilt, solange die Zeit Seines Leuchtens währt, bevor die Nacht des Todes euch ergreift und ihr in die ewige Finsternis geschickt werdet. Eilt, sucht, klopft an, damit euch die Pforte zum Reich der Himmel geöffnet werde und ihr hinein gelangt und ihr es erwerbt in euch innen.

 Denn jene, die aus diesem Leben hienieden scheiden, bevor sie das Reich erworben haben, wo werden sie es bei ihrem Auszug  je finden? Hienieden mithin in Metanie und unter Tränen darum zu bitten, es zu suchen und anzuklopfen ist uns geboten worden, und sofern wir in dieser Weise handeln, hat uns der Gebieter dasselbe zu gewähren versprochen. Sind wir aber nicht gewillt, dies zu tun und dem Gebieter Christus zu gehorchen, damit wir das Reich in unserem Innern empfangen, solange wir noch in diesem Dasein sind, werden wir Ihn da bei unserem Auszug nicht zu Recht zu uns sagen hören: "Was verlangt ihr nun, was Ich euch geben wollte und was ihr von Mir zu empfangen verweigert habt? Bat Ich euch nicht viele Male, euch anzustrengen, um das Reich von Mir zu empfangen? Ihr aber habt nicht gewollt, sondern habt es verachtet und ihm die vergänglichen irdischen Genüsse vorgezogen. Kraft welcher Werke oder Worte vermöchtet ihr es nun zu erlangen?"

Deshalb bitte ich euch, Väter und Brüder, laßt uns keine Mühe scheuen, um die Gebote Gottes zu halten, damit wir  das ewige Leben und  Reich erlangen und nicht in der Gegenwart das Wort hören müssen: "Wer dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht schauen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm"  (Joh 3,36), im künftigen Äon aber: "Geht weg von Mir, Ich kenne euch nicht, Ich weiß nicht, woher ihr seid"  (s. Mt 7,23, Lk 13,25-27), sondern jene gesegnete Stimme vernehmen, die sagt: "Kommt, ihr Gesegneten Meines Vaters, empfangt das Reich zum Erbe, das euch bereitet ist, denn ihr habt Mich ernährt, als Ich hungerte nach eurem Heil, durch das Erfüllen Meiner Gebote. Ihr habt Mir zu trinken gegeben, Mich bekleidet, aufgenommen und besucht, indem ihr eure Herzen reinigtet von jedem Makel und jedem Schmutz der Sünde. Deshalb kommt und erfreut euch an Meinen Gütern, deren Genuß unaussprechlich ist, und ewiges, todloses Leben" (s. Mt 25,34ff). Möchten wir dies alle  erlangen durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, Dem die Herrlichkeit gehört in die Ewen. Amen.

 


[1] Dies ist die 15. der insgesamt 34 erhaltenen Katechesen des hl. Symeon des Neuen Theologen (949-1022, s. Das Synaxarion am 12. März), gerichtet an die Mönche des Klosters des Hl. Mámas in Konstantinopel, dem er 979-1005 als Higumen vorstand. Griech. Urtext in EPE-Philokalia Bd. 19Δ', unter dem Titel "Περὶ ἐμπαθοῦς καὶ
απίστου καὶ πονηράς διαθέσεως. Καὶ τίς ἡ ἕνωσις τοῦ Θεοῦ πρὸς τοὺς υἱοὺς τοῦ φωτός καὶ τίνα τρόπον ἐν αυτοῖς αὕτη γίνεται. Καὶ πρὸς τὸ τέλος, καταδρομή τῶν αναξίως κατατολμῶντων τῆς αρχιερωσύνης" ("Über die leidenschaftliche, ungläubige und böse Gesinnung. Ferner darüber, was die Vereinigung Gottes mit den Söhnen des Lichts ist und auf welche Weise sie in ihnen geschieht. Und zum Schluß Zurechtweisung jener, die es wagen, Hierarchen zu werden, obwohl sie unwürdig sind"). Dt. Übersetzung, unter Berücksichtigung der franz. Fassung in SC 104, Catéchèses II, vom Kloster des Hl. Johannes d. Vorläufers, Chania 2011.

[2] Gr. ουσιωδώς (wörtlich: "wesenhaft", "substantiell", "wirklich"), ein Begriff, der schon vom hl. Gregor  d. Theologen im Sinn von "leibhaftig" verwendet wird, z.B. in seiner Homilie 41 "Zum Pfingstfest", Kap. 11.

[3] Griech.  εἶς θέσει Θεός.

[4] Dies sind die drei Stufen des geistigen Lebens. Die erste Stufe, die die Hl. Väter als  Praxis bezeichnen, beinhaltet die Reinigung von den Leidenschaften durch  Erfüllen der Gebote und Askese.




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