Hl. Gregor Palamas

 Homiliezum Fest der Begegnung mit dem Herrn [1]
am 2. Februar

Das Heilswerk Christi
für die Menschennatur als ganze und für jeden Gläubigen einzeln

Quelle: http://prodromos-verlag.de/texte.html

1. Bevor Christus kam, war jener von den Ureltern ererbte Fluch und Urteilsspruch (s. Gen 3,1ff) uns allen gemeinsam, ausgegossen über alle aus einem einzigen Urahn,  wie entsprungen aus der Wurzel selbst des Menschengeschlechts und unserer Natur zugeteilt wie ein Los. Durch sein persönliches Tun konnte zwar jeder einzelne Mensch entweder das Lob oder den Tadel Gottes auf sich ziehen, doch gegen jenen gemeinsamen Fluch und Urteilsspruch und das böse Erbe, das von seinen Vorfahren her auf ihn gekommen war und durch ihn selbst wiederum auf seine Nachkommen überging, vermochte er nichts.

2. Doch Christus ist gekommen, der Befreier unserer Natur, und hat den gemeinsamen Fluch in gemeinsamen Segen verwandelt, indem Er aus einer unversehrten Jungfrau unsere Menschennatur annahm, die die Verantwortung trug [für diesen Zustand], und sie durch Ver-einigung mit Seiner eigenen Hypostase [2] neu machte, ohne Anteil am alten Samen, befreit von der Verantwortung und gerechtfertigt, sodass auch all jene, die in der Folge aus Ihm geboren werden dem Geiste nach, außerhalb jenes urzeitlichen Fluchs und Urteilsspruches bleiben. 

Was weiter hat Er getan? Teilt Er Seine Gnade nicht auch jeder einzelnen unserer Hypostasen mit? Und empfängt von Ihm nicht auch jeder einzelne von uns Vergebung der Sünden? Denn nicht eine Hypostase hat Er von uns angenommen, sondern unsere Natur, und diese hat Er erneuert, indem Er sie vereinte mit Seiner eigenen Hypostase.[3]

Er, Der alle zur Gänze retten will, beugte die Himmel  und kam herab für alle,  und nachdem Er durch Seine Werke, Worte und Leiden jeden Weg des Heils aufgezeigt hatte, stieg Er wieder hinauf in die Himmel, all jene dorthin ziehend, die an Ihn glauben. Nicht nur unserer Natur mithin, die Er von uns angenommen und Sich Selbst angeeint hat in unauflösbarer Vereinigung, sondern auch einem jeden einzelnen der an Ihn Glaubenden gewährt Er vollumfängliche Erlösung. Dies also hat Er getan und hört nicht auf, es weiterhin zu tun, indem Er durch Sich Selbst jeden einzelnen von uns versöhnt mit dem Vater und zurückführt zum Gehorsam und all unseren Ungehorsam heilt.

3.  Dieser Dinge wegen verordnete Er auch die göttliche Taufe,  erließ rettende Gesetze, rief alle zur Metanie und schenkte uns die Teilhabe an Seinem Leib und Blut. Denn nicht einfach die Natur, sondern die Hypostase jedes einzelnen der Glaubenden ist es, die die Taufe empfängt und gemäß den göttlichen Geboten wandelt und teilhaftig wird des vergöttlichenden Brots und Kelchs. Durch diese Dinge hat Christus uns hypostatisch[4] gerechtfertigt und zurückgeführt zum Gehorsam gegenüber dem Allerhöchsten Vater. Die Natur selbst aber, die Er von uns angenommen und erneuert hat, erzeigte Er als geheiligt und gerechtfertigt und in allem dem Vater gehorchend durch all das, was Er, hypostatisch mit ihr vereint, durch sie wirkte und erlitt.

 

Die Bedeutung des Festes - Warum diese Treue des Herrn zum Gesetz?

4. Dazu gehört auch das, was wir heute feiern – Sein Aufstieg oder vielmehr Sein Hinaufgetragenwerden zu jenem alten Tempel zum Zweck der vorgeschriebenen Reinigung, Seine Begegnung mit dem gottergriffenen Symeon und das Bekenntnis der Anna, die ihr Leben lang im Tempel verweilte.

Nach der Geburt des Erlösers aus der Jungfrau und Seiner Beschneidung am achten Tag gemäß den Vorschriften des Gesetzes (s. Lk 2,21),[5] berichtet der Evangelist Lukas: "Als die Tage ihrer Reinigung gemäß dem Gesetz des Mose erfüllt waren, brachten sie Ihn hinauf nach Jerusalem, um Ihn dem Herrn darzustellen, wie im Gesetz des Herrn vorgeschrieben ist" (Lk 2,22). Er wird beschnitten gemäß dem Gesetz, Er wird hinaufgeführt gemäß dem Gesetz, Er wird dargestellt, wie es im Gesetz des Herrn vorgeschrieben ist, und ein Opfer wird dargebracht gemäß den Bestimmungen im Gesetz des Herrn (Lk 2,23-24 / Lev 12,8). 

5.  Seht ihr, wie der Schöpfer und Gebieter des Gesetzes Sich in allem dem Gesetz unterzieht? Was vollbringt Er damit? Er macht unsere Natur gehorsam gegenüber dem Himmlischen Vater in allen Dingen, heilt uns von ihrem Ungehorsam und verwandelt den auf ihr liegenden Fluch in einen Segen. Denn so wie unsere ganze Natur in Adam war, so ist sie auch in Christus. Und so wie in dem von der Erde stammenden Adam wir alle, die wir aus ihm das Sein empfingen, zur Erde zurückkehrten (s. Gen 3,19)  und – o weh! – hinabgebracht wurden in den Hades, so sind wir, dem Apostel gemäß (s. 1 Kor 15,20ff), durch den aus dem Himmel stammenden Adam alle in den Himmel hinaufgerufen und der dortigen Herrlichkeit und Gnade gewürdigt worden, zwar im Verborgenen einstweilen, denn "euer Leben", sagt er, "ist mit Christus verborgen in Gott, doch wenn Christus erscheinen wird," bei Seiner Zweiten Parusie und Epiphanie,  "werdet auch ihr alle erscheinen mit Ihm in Herrlichkeit" (Kol 3,3-4). Wen meint er mit "ihr alle"?  Diejenigen, die von Christus zu Söhnen gemacht worden sind im Heiligen Geist und sich durch ihre Werke als Seine geistigen Kinder erwiesen haben.

6. Als die Tage ihrer Reinigung erfüllt waren, brachten sie Ihn hinauf, um Ihn dem Herrn darzustellen (Lk 2,22). "Ihrer" - wessen? [6] Von den Eltern und zugleich auch von den aus ihrer Vereinigung Geborenen handelt das Wort des Gesetzes, als von solchen, die der Reinigung bedürfen. Sagt doch auch der Psalmist "in Unrecht wurde ich empfangen und in Sünden hat mich meine Mutter geboren" (Ps 50,7). Wo aber keine Eltern vorhanden waren, sondern nur eine Mutter, und zwar eine jungfräuliche, und ein Kind, das gezeugt worden war ohne Samen, war eine Reinigung nicht nötig, sondern sie erfolgte aus Gehorsam, um die ungehorsame Natur zurückzuführen  und die durch den Ungehorsam  eingegangene Verant-wortung zu löschen.

 

Der einzige wahre Öffner des Mutterschosses - der Heilige Israels

Als mithin die Tage ihrer Reinigung erfüllt waren, führten sie Ihn hinauf, um Ihn dem Herrn darzustellen, um Ihn darzubringen und deutlich zu machen, dass Er der Erstgeborene ist, entsprechend der Vorschrift im Gesetz des Herrn, wonach "jedes männliche Kind, das den Mutterschoß öffnet, als dem Herrn gehörend gilt"  (Ex 13,2 / Lk 2,23).

7.   Er ist der Einzige, Der bei Seiner Empfängnis den Mutterschoß öffnete, wurde Er doch empfangen ohne Zusammenkommen von Eltern, sondern durch den bloßen Gruß und die Botschaft Gottes, welche die Jungfrau vermittels eines Engels zu Gehör empfing. Warum also sagt das Gesetz: "jedes männliche Kind, das den Mutterschoß öffnet"? Obwohl viele als Propheten und viele als Gesalbte bezeichnet werden – wie Gott ja auch durch den Psalmisten sagt: "Rührt Meine Gesalbten nicht an und schmiedet nicht Ränke gegen Meine Propheten" (Ps 104,15) –, ist der Gesalbte [7] ein Einziger, und Er ist auch der einzige Prophet. In derselben Weise wird von jedem Erstgeborenen gesagt, dass es den Mutterschoß öffnet, doch Derjenige, Der in Wahrheit geöffnet hat, ist allein der Heilige Israels.

 

Die Jungtauben - Vorankündigung der jungfräulichen Geburt im mosaischen Gesetz

8. Sie brachten Ihn also hinauf, um Ihn dem Herrn darzustellen, heißt es," und um das Opfer darzubringen gemäß dem, was gesagt ist im Gesetz des Herrn, ein Paar Turteltauben oder zwei Jungtauben" (Lk 2,24 / Lev 12,8).

Das Paar der Turteltauben, das die Besonnenheit und Keuschheit der Eltern andeutet, hatte eine gewisse Beziehung zu denen, die durch das Ehegesetz miteinander verbunden sind. Die beiden Jungtauben aber, als solche, die keine Erfahrung der Ehe  haben, waren eine deutliche Vorankündigung der Jungfrau und des aus der Jungfrau Geborenen und bis ans Ende jung-fräulich Bleibenden. Und beachte die Genauigkeit des Gesetzes – bezüglich der Turteltauben spricht es ausdrücklich von einem Paar, um die in Ehe Verbundenen hervorzuheben, während es bei den Jungtauben solches vermeidet, denn sowohl die Mutter als auch der Sohn würden ohne Erfahrung der Ehe sein.

Von weither mithin kündete das Gesetz die jungfräuliche Geburt an, indem es sie auf diese Art weissagte und durch jene Dinge im voraus beschrieb. Jetzt aber, wo der auf paradoxe Art Geborene in den Tempel hinaufgebracht wird, hat der Heilige Geist andere, angemessenere Turteltauben und Jungtauben bereitet. Wer sind diese? Symeon und Anna, die man ihrer völligen Kindlichkeit in Bezug auf das Böse sehr wohl als Jungtauben bezeichnen kann, in bezug auf ihre äußerste Besonnenheit und Keuschheit aber als Turteltauben.

 

Symeon und Anna

9.  Symeon aber - um die Worte des Evangeliums in Kürze durchzugehen - war ein gerechter und frommer Mann, der vom Heiligen Geist im voraus eine Weissagung empfangen hatte. Von Ihm bewegt, kam er in den Tempel und nahm jenen zugleich himmlischen und irdischen Säugling in seine Arme, indem er Ihm als Gott den Lobpreis darbrachte und die Bitte, ihn nun in Frieden zu entlassen aus dem Körper. Allen verkündete er Ihn als das Licht des Heils, hingestellt, wie er sagte, zum Sturz der Ungläubigen und zur Auferstehung der an Ihn Glaubenden (s. Lk 2,29-34). 

10.  Danach wandte er sich an die Jungfrau und Mutter des Kindes und kündete ihr an,  dass sie sich durch den Schmerz, den sie dereinst empfinden sollte am Kreuz ihres Sohnes, wahrlich als Mutter der Natur gemäß des gottmenschlichen Säuglings hier erweisen, die Gedanken des Zweifels über Ihn aufdecken und aus den Herzen vertreiben würde. Mit diesem Hinweis auf ihr Leid bei der Passion des Kindes, ihren tiefen Schmerz und ihr Mitgefühl für Ihn legte Symeon ein klares Zeugnis ab für die wirkliche Mutter des von allen Seiten angefochtenen Kindes.[8]

11.  Die Prophetin Anna ihrerseits, die Witwe des Phanuel, die etwa vierundachtzig Jahre alt war, ständig in Fasten und Gebet verharrte und den Tempel nie verließ, wurde zu jener Stunde noch mehr ergriffen vom Heiligen Geist. Sie dankte Gott und verkündete, dass die Erlösung gekommen sei für jene, die sie annehmen, und indem sie auf das Kind deutete, sagte sie, dass dieses die Erlösung sei.

 

Vorbilder christlichen Lebens 

12.  Solche vernunftbegabte Turteltauben also sandte der Heilige Geist zur Begegnung mit Christus, Der in den Tempel heraufgekommen war, und damit zeigt Er uns, welcher Art jene sein müssen, die Christus in sich empfangen wollen, und wie Frauen leben sollen, die ihren Ehemann verloren haben, sowie Männer, deren Ehefrauen gestorben sind. Denn Witwe war jene Anna des Phanuel, doch auch Prophetin. Wie wurde sie zur solchen? Indem sie sich fernhielt von weltlichen und irdischen Dingen und nicht vom Tempel wich. Indem sie  ein untadeliges Leben führte, Tag und Nacht verharrend in Fasten, Wachen, Gebeten und Psalmengesang. Deshalb auch erkannte sie den Herrn, als Er kam, und dies zu Recht, betete sie Ihn doch an durch Werke, wie auch der Psalmist zu Ihm sagt: " Ich will Dir Psalmen singen und unverrückt festhalten am untadeligen Weg. Wann wirst Du zu mir kommen?" (Ps 100,2).

13.  Solcher Art müssen jene sein, die nach der Ehe in ehrbarem Witwen- oder Witwerstand beschließen, entweder das jungfräuliche Leben zu führen oder eine zweite Ehe einzugehen. Lehnst du eine zweite Ehe als niedrig zur Gänze ab, dann halte unverrückt fest an deinem Vorsatz und folge den Fußstapfen jener, die von Anfang bis Ende ehelos blieben. Einstmals hatte auch Petrus eine Schwiegermutter (s. Mk 1,29ff, Lk 4,38-39), doch er blieb nicht zurück hinter dem jungfräulichen Johannes, als er zum Lebensspendenden Grab hineilte (s. Joh 20,3ff). In gewissen Punkten war er ihm sogar voraus, weshalb er vom gemeinsamen Meister denn auch als Koryphäe der Koryphäen eingesetzt wurde. In solche Höhen mithin erhebt die Sehnsucht, die sich abwendet vom Fleisch und hinwendet zum Geist.

 

Über Ehe und Ehelosigkeit sowie über die Unzucht, Ursache aller Katastrophen 

14.  Du aber gib acht, dass du nicht etwa die Ehe als etwas Gemeines ablehnst, jedoch die Ehelosigkeit nicht einhältst, weil du sie nicht erträgst, denn so gerätst du ab vom Weg und kommst zu Fall, ohne dass du es merkst, als einer, der weder das hält, was dem Gesetz gemäß ist, noch das, was über dem Gesetz ist, sondern das, was wider das Gesetz ist. Wenn wir schon diejenigen, die verwitwet sind, als verurteilungswürdig betrachten, sofern sie nicht in Keuschheit leben, und sie uns selbst dann, wenn sie eine zweite Ehe eingehen, nicht als zur Gänze tadelsfrei gelten – sagt doch der Apostel Paulus, dass sie ihre erste Treue gebrochen  haben  (s. 1 Tim 5,11-12) – , wieviel verurteilungswürdiger noch sind dann jene, die der gesetzmäßigen Ehe die ungesetzliche Lust vorziehen, sowie jene, die, obwohl sie mit ihren Frauen zusammenleben, sich auch der Unzucht nicht enthalten!

Die Unzucht war es, die einst jene weltweite Sintflut herbeiführte und sowohl für jene, die anfänglich Gottessöhne genannt wurden (s. Gen 6,1-7), als auch für die Sodomiten die Feuersbrunst vom Himmel her brachte (s. Gen 13,13 / 18,20 / 19,5ff), für die Israeliten  aber die Niederlage gegen die Moabiter und jenes schreckliche Massaker (s. Num 25,1ff). Für uns Heutige schließlich, so glaube ich, hat sie die Niederlagen gegen die Heidenvölker gebracht sowie all die vielgestaltigen unheilvollen Entwicklungen und Katastrophen im Innern wie im Äußeren.

15.  Gottessöhne nannte die Schrift zuerst die Nachkommen des Enos, der als erster hoffte, mit dem Namen des Herrn benannt zu werden (Gen 4,26).[9] Dieser war Sohn des Seth, dessen Geschlecht verschieden war vom fluchbeladenen Geschlecht des Kain und in Besonnenheit und Keuschheit wandelte. Der Nachkommen des Enos wegen blieb die Welt damals noch aufrecht, bis diese, wie es heißt, die Töchter der Menschen  – das heißt jene aus dem Geschlecht des Kain – erblickten und sahen, dass sie schön waren, und betört durch ihre unzüchtige Schönheit sich von ihnen alle nahmen, die sie sich erwählten, und deren Werke erlernten (s. Gen 6,2ff). Da vervielfachte  sich das Unheil auf Erden, und die Sintflut kam und raffte sie alle hinweg (s. Gen 6,17ff). Hätten sich damals auf Erden nicht Noah und seine Söhne gefunden, die keusch und besonnen waren – wie sich zeigt an der Tatsache, dass jeder von ihnen Mann einer einzigen Frau war, mit welcher er auch in die Arche stieg (s. Gen 7,13) – , wäre keine Wurzel übrig geblieben, kein Ansatz für das Werden einer zweiten Welt.

 

Reulose Unzüchtige unwürdig der gegenwärtigen Welt und ausgeschlossen von der künftigen

16. Seht ihr, dass die Welt damals der Unzüchtigen wegen untergegangen wäre, wenn sie nicht bewahrt worden wäre durch die Keuschen und Besonnenen? Wenn nun jene Leute nicht einmal der gegenwärtigen Welt würdig sind, als solche, die ihre Ordnung durcheinanderbringen,[10] wie werden sie da nicht auch vom künftigen Äon ausgeschlossen und dem Feuer der Gehenna überliefert werden (s. 1 Kor 6,9ff), als solche, die es ablehnten, dem Feuer der fleischlichen Lüste zu widerstehen, wenn sie sich jetzt nicht beeilen, dasselbe zu löschen durch die Metanie und sich von den vergangenen Befleckungen reinzuwaschen durch ihre Tränen?

 Möchten sie auch nicht im Unwissen sein darüber, dass sie, wenn sie sich nicht beeilen, ihrer Leidenschaft zu widerstehen durch die Metanie, bald schlimmeren, widernatürlichen und schändlichen Leidenschaften preisgegeben werden, die Ausgeburten der unzüchtigen Begierde sind und das Feuer der Gehenna schon hienieden über sie bringen. Es ergreift die Zügellosen von diesem Leben an und reißt sie hinab in die ewige Hölle.

17. Wer hat nicht gehört von den Sodomiten und deren Treiben, das noch gesetzwidriger war als Hurerei, von dem neuartigen Feuerregen, der auf sie fiel, und von ihrem Untergang (s. Gen 19,1ff)? Oftmals mußte eine ganze Stadt die Folgen der Unzucht eines einzigen Menschen tragen, wie es den Sikimern widerfuhr, die von den Söhnen Jakobs zur Gänze vernichtet wurden, weil Sichem der Tochter Jakobs Dina Gewalt angetan hatte (s. Gen 34,1ff).

Doch lassen wir jetzt jene, die vor dem Gesetz lebten. Schreibt nicht das Gesetz selbst vor, dass die Braut, die nicht als jungfräulich erfunden wird, gesteinigt werden (Deut 22,13ff), und die Tochter eines Priesters, die sich der Unzucht hingegeben hat, im Feuer verbrannt werden soll (Lev 21,9)? Und verbietet es nicht, den Lohn einer Dirne im Tempel des Herrn darzubrin-gen? Als die Israeliten Unzucht trieben mit den Moabiterinnen, fielen an einem einzigen Tag dreiundzwanzigtausend Männer unter dem Schwert (s. Num 25,1ff). Deshalb sagt auch der große Paulus zu uns: "Treibt nicht Unzucht, so wie einige von jenen es taten, weshalb an einem einzigen Tag dreiundzwanzigtausend fielen" (1 Kor 10,8). Dies mithin sind die Strafen für die Unzucht, sowohl vor dem Gesetz als auch unter dem Gesetz und kraft des Gesetzes.

 

Die hohen Anforderungen der Reinheit an die Christen

18. Doch was ist mit uns, die wir, obwohl wir das Gebot empfangen haben, das Fleisch zu kreuzigen mitsamt den Leidenschaften und den Begierden (Gal 5,24), uns abermals denselben unterwerfen, derentwegen der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams kommt (Kol 3,5)? Die wir ermahnt wurden, die der Erde zugewandten Glieder abzutöten, Unzucht, Unreinheit, böse Leidenschaft und Begierde (Kol 3,5), und uns diese Ermahnung nicht zu Herzen nehmen? Werden wir nicht irgendwann, wenn nichts anderes, so doch zumindest die Gottesurteile fürchten – jene, die uns von unten treffen, jene, die uns von oben treffen, jene, die bereits eingetreten sind, und die uns drohenden künftigen und ewigen?

Haben wir keine Ehrfurcht vor dem Erscheinen Christi, der Sonne der Gerechtigkeit, im Fleische, sodass wir in rechter Ordnung wandeln wie am Tag? Werden  wir nicht von Schrecken ergriffen angesichts der Warnungen, Verkündigungen und Ermahnungen des Apostels, da er sagt: "Wißt ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und dass der Geist Gottes in euch wohnt? Wer aber den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben" (1 Kor 3,16). Und wiederum: "Offenkundig sind die Werke des Fleisches, nämlich Unzucht, Unreinheit, Lüsternheit und das weitere, und ich sage es euch im voraus, wie ich es schon früher tat, dass jene, die solches tun, das Reich Gottes nicht erben werden" (Gal 5,19 und 21). Und wiederum: "Dieses wißt, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger, was soviel ist wie Götzenanbeter, einen Anteil hat am Reiche Christi und Gottes" (Eph 5,5). Und wiederum: "Dies ist der Wille Gottes - dass wir uns heiligen und uns enthalten von der Unzucht. Denn nicht zur Unreinheit hat Gott uns gerufen, sondern zur Heiligung. Wer  mithin dieses  mißachtet, der mißachtet nicht einen Menschen, sondern Gott, Der uns Seinen Heiligen Geist gegeben hat" (1 Thess 4,3 und 7-8).

 

Unzüchtige besudeln die ganze Kirche - Meidet die Unzucht!

19.  Wer vermöchte all die Worte der Apostel und der Propheten zu diesem Thema anzuführen? Denjenigen, die keusch und besonnen sind und deshalb zu den Gliedern Christi gehören, was gebietet ihnen der Apostel? "Ich schrieb es euch im Brief: Habt keinen Umgang mit Unzüchtigen!" (1 Kor 5,9). Denn weil jene selbst keine Scham empfinden, ermahnt er die anderen, sich abzuwenden von ihnen und sie zu beschämen, sagt er doch: "Wenn einer, der sich Bruder nennt, ein Unzüchtiger ist, so sollt ihr mit ihm nicht einmal Mahlzeit halten" (1 Kor 5,11). Siehst du, dass einer, der sich in Unzucht wälzt, eine kollektive Besudelung der Kirche ist, weshalb alle sich von ihm abwenden und ihn ausschließen  müssen. Paulus selbst übergab dem Satan denjenigen, der sich in Korinth der Unzucht hingab, und erlaubte nicht, dass man ihm Liebe zeigte, noch auch nahm er ihn wieder auf, bis er gebührende Reue bewiesen hatte (s. 1 Kor 5,5ff).

20.   Rette um jeden Preis, o Mensch, deine Seele vor solchen Übeln, den gegenwärtigen wie den künftigen, mehr noch aber vor den letzteren, im jetzigen und im künftigen Äon! Denn die Nachkommenschaft Esaus wurde verstoßen, weil jener unzüchtig und frevelhaft gewesen war (s. Hebr 12,16 / Gen 25,27ff), und Rehoboam verlor den größten Teil seines Reiches  weil dies seinem Vater, Salomo, der mehr auf Frauen versessen war als irgendwer, um Davids willen zu seiner Lebenszeit erspart geblieben war (1 Kön 11,1 ff). David selbst aber hatte sich von seinem einmaligen Verbrechen reingewaschen durch fortgesetztes Vergießen von Strömen von Tränen und durch die anderen Werke der Metanie.

21.   Meidet die Unzucht, Brüder! gebietet der Apostel abermals (1 Kor 6,18). Denn hätte Samson sie gemieden, wäre er nicht in die Hände der Dalila gefallen, hätte er nicht zusammen mit dem Haar seines Hauptes auch seine Kraft verloren, hätte man ihm nicht die Augen ausgestochen und wäre er nicht in schlimmer Weise mit den Fremdstämmigen zusammen ungekommen (s. Rich 14,1ff). Hätten jene, die Moses als Führer und Gesetzgeber hatten, sie gemieden, würden sie weder Beelphegor geopfert, noch Totenopfer gegessen haben, noch auch wären alle jene gefallen, die fielen (s. Num 25,1ff). Hätte Salomo sie gemieden, wäre er nicht abgefallen von Gott, Der ihn zum König gemacht und ihm Weisheit verliehen hatte, noch auch hätte er den Götzen Tempel errichtet (s. l Kön 11,1ff).

22.  Seht ihr, dass die Leidenschaft der Unzucht den Menschen auch zur Gottlosigkeit verleitet? Weder wären die Ältesten der Richter von Babylon betört worden von der Schönheit Susannas, sodass sie besiegt wurden und unter dem Hagel der Steine endeten, wenn sie das Hassenswerte  von Anfang an gemieden hätten und Susanna nicht jeden Tag lüstern beobachtet hätten (Sus 1ff). Noch auch wäre Holofernes mit durchschnittener Gurgel elend dagelegen, wenn sich sein Auge nicht zuvor packen lassen hätte von Judiths Sandale, wie geschrieben steht, und wenn ihre Schönheit nicht seine Seele gefangengenommen hätte. Deshalb sagt Hiob: "Ein Gebot setzte ich meinen Augen, dass ich nicht achtgeben werde auf eine Jungfrau" (Hiob 31,1), wieviel weniger noch auf ein unsittliches Frauenzimmer, sei es eine Entlassene oder eine Verheiratete.

 

Zwei Wege für die Christen

23.  Übe dich entweder in dem von Gott geliebten Mönchsleben, o du, oder aber in der von Gott gegebenen Ehe. Trink Wasser von deinen eigenen Brunnen, oder wie sich jetzt eher zu sagen ziemt, von deinem einzigen Brunnen, und auch dies mit Besonnenheit und Keuschheit, Vom außerehelichen Trunk aber enthalte dich zur Gänze, denn dies ist das Wasser des Styx, des Zuflusses des Acheron, voll von todbringendem Gift, und es hat die Kraft, zu vergiften. Diejenigen, die davon  trinken, zieht es hinab durch die Falltür des Hades in dessen innerste Bereiche. Halte dich fern vom Honig, der von unzüchtigen Lippen kommt, denn dieser ist kundige Salbung zu einem schändlichen Tod, das heißt zur Trennung von Gott. Deshalb sagt David: "Du vernichtest  jeden, der sich in Unzucht entfernt von Dir"  (Ps 72,27).

24.   Es ist mithin notwendig, dass jener, dessen Körper durch den Heiligen Geist zum Tempel Gottes geworden ist und in dem der Geist Gottes wohnt, in Reinheit lebt, oder sich zumindest reinigt, und so allezeit unbesudelt bleibt und sich begnügt mit den erlaubten Genüssen. Beeilen wir uns, Reinheit und Keuschheit zu erlangen, Unzucht und jede Unreinheit aber zu meiden, damit wir ewiglich in Freude beim unsterblichen Bräutigam verweilen können in den unbefleckten Brautgemächern, durch die Fürbitten Seiner ewigjungfräulichen und allreinen und über alles verherrlichten Mutter, die Ihn in Jungfräulichkeit empfing zu unserem Heil, jetzt und immerdar und in die Ewen der Ewen. Amen.

 


[1] Dies ist die 5. der insgesamt 63 erhaltenen Homilien des hl. Gregor Palamas, Erzbischof von Thessaloniki (1296-
1359, siehe Das Synaxarion am 14. November sowie seine Biographie in: Hl. Gregor Palamas, Der Weg der  Läuterung, Chania 2008).  Griech. Urtext in EPE GregPal Bd. 9, unter dem Titel: Εἰς τήν Ὑπαπαντήν τοῦ  Κυρίου καὶ Θεοῦ καὶ Σωτήρος ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ, ἐν ᾖ καὶ περὶ σωφροσύνης καὶ τῆς ἀντιθέτου ταύτῃ κακίας ("Über die Begegnung unseres Herrn und Gottes und Erlösers Jesus Christus, worin auch die Rede ist  von der Besonnenheit und Keuschheit sowie der ihr entgegengesetzten Lasterhaftigkeit"). Dt. Übersetzung, unter Berücksichtigung der engl. Fassung in St. Gregory Palamas, The Homilies ( Mt. Thabor Publishing, Waymart PA 2009), vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011.

[2] D.h. Person.       

[3]Damit widerspricht der hl. Gregor ausdrücklich der nestorianischen Häresie und ähnlichen Irrlehren, die behaupten, Christus habe mit der menschlichen Natur auch eine menschliche Hypostase angenommen, was der
Hl. Schrift widerspricht, die sagt, dass der göttliche Logos Fleisch wurde (Joh 1,14), und nicht, dass Er eine menschliche Person (prosopon) annahm, wie auch der hl. Kyrillos von Alexandria betont n seinem Zweiten Brief an Nestorios.

[4] D.h. in unserer Person, nicht bloß in unserer menschlichen Natur.

[5] Die Kirche feiert die Beschneidung des Herrn am 1. Januar, dem achten Tag nach Seiner Geburt, die Darstellung im Tempel 40 Tage nach der Geburt (s. Lk 2,22 / Lev 12,1-4), d.h. am 2. Februar.

[6] Im Deutschen könnte man unter "ihrer" jene der Gottesmutter verstehen, doch es handelt sich um einen Plural (griech. "αὐτῶν").

[7] Im griech. Text steht:  ο Χριστός, was "der Gesalbte" bedeutet (entsprechend dem hebr. "Messias").

[8] Von allen Seiten angefochten von den Häretikern auf Grund des für den unerleuchteten Menschenverstand unbegreiflichen Mysteriums der Inkarnation, Seiner zweifachen Natur, der göttlichen und der menschlichen. Der  hl. Gregor spielt hier insbesondere an auf jene Häretiker, die an der Wirklichkeit der Fleischwerdung des Logos  und mithin der Mutterschaft der Jungfrau zweifeln.

[9] Das Zitat des hl. Gregor von Gen 4,26 entspricht der Septuaginta (LXX). Es ist zu beachten, dass die unlängst veröffentlichte deutsche LXX-Übersetzung in manchen Punkten abweicht vom überlieferten Text der Orthodoxen Kirche, von dem die Hl. Väter ausgehen und der für uns Orthodoxe allein maßgeblich ist.

[10] Unübersetzbares Wortspiel mit "κόσμος" (Schmuck, harmonische Ordnung, Welt) und "ἀκοσμία"  (Unordnung,  Verunstaltung, Frevel).



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